Persönliches

Familie

Helene Riese wird am 16.12.1795 in Berlin als zweites Kind einer wohlhabenden jüdischen Bürgerfamilie geboren und wächst in den besten familiären und gesellschaftlichen Verhältnissen auf. Ihre Eltern zählen zu den fünfzig wohlhabendsten Familien Berlins: Ihr Vater, Meyer Wulff Riess, ist ein wohlhabender Bankier. Ihre Mutter Jitel ist als Tochter des Elias Urschel und Großnichte des Bankiers und Hoffaktors Daniel Itzig bekannt. Über diese Verbindung ist Helene Riese weitläufig verwandt mit Felix Mendelssohn Bartholdy, wobei eingeräumt werden muss, dass die gemeinsamen Vorfahren recht weit zurückliegen. Lea Salomon, die Mutter Felix Mendelssohn Bartholdys, ist eine Enkelin Daniel Itzigs.

Helene Rieses Familie ist jüdischen Glaubens. Das bringt in der Zeit um 1800 gesellschaftliche Schwierigkeiten mit sich, weshalb sich ihre Eltern die christlich klingenden Namen Martin Riese und Juliette Baer aneignen. Für die Erziehung Helene Rieses hat ihre Religion aber auch einen entscheidenden Vorteil: Um eine bessere Akzeptanz im christlichen Bürgertum zu erzielen, legen die jüdischen Einwohner Berlins besonderen Wert auf Bildung, insbesondere in Literatur, Kunst und Musik. Helene Riese kommt aufgrund der guten finanziellen Stellung ihrer Eltern in den Genuss einer vorzüglichen musikalischen Ausbildung, unter anderem bei Franz Lauska und Ferdinand Ries.

Helene Riese hat eine ältere Schwester, Adelaide Riese, und zwei Brüder: Friedrich Wilhelm Riese ist ein zu Lebzeiten anerkannter Schrifsteller. Er schreibt unter anderem die Libretti zu Alessandro Stradella und Martha. Emil, ihr zweiter Bruder, ist als Wechselagent in Hamburg tätig.

Im Februar 1806 ist Helene Riese auf einem so guten musikalischen Niveau, dass sie mit nur neun Jahren ihren ersten öffentlichen Auftritt im Berliner Konzertwesen bestreiten darf. 1811 erscheint im Bureau des arts d'industrie à Berlin die erste Veröffentlichung einer ihrer Kompositionen: die Klaviersonate op.1.

Am 8.9.1813 konvertiert Helene Riese zum Christentum, bevor sie dann am 22.9.1813 den Kaufmann John Joseph Liebmann heiratet. Nur wenige Monate später, am 2.4.1814, verabschiedet sich das Ehepaar über eine Zeitungsanzeige aus Berlin und zieht nach London, wo John Joseph beruflich tätig ist. Helene Liebmann ist zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt. In London nimmt Helene Unterricht bei Ferdinand Ries und veröffentlicht weitere Kompositionen, vorwiegend kammermusikalische. Das junge paar bleibt nur wenige Jahre in London und zieht im Jahr 1818 nach hamburg. Im Hamburger Konzertleben tritt Helene Liebmann als Sängerin in Erscheinung.

⇑ top

Gesellschaftliches Umfeld

Helene Riese wächst in einer wohlhabenden Familie von gehobenem gesellschaftlichen Rang auf. Zwar finden sich weder Helene selbst noch ihre Eltern nachweislich als Gast in den namhaften Berliner Salons wieder, aber es ist zu vermuten, dass sie dennoch an salonähnlichen Gesellschaften teilnehmen. Die aktive Teilnahme am öffentlich organisierten Konzertleben erfordert schließlich nicht nur besonderes Können sondern auch besondere Kontakte.

Neben der entfernten Verwandtschaft zu Felix Mendelssohn Bartholdy ist Helene Riese auch mit der Familie Giacomo Meyerbeers bekannt.

Ausschlaggebend für die künstlerische Entwicklung der Musikerin sind sicher auch ihre Wohn- und Lebensorte Berlin, London und Hamburg sind Großstädte mit regem kulturellem Leben, in denen sich nicht nur renommierte Lehrer niederlassen, sondern auch die Entwicklung des öffentlichen Konzertwesens und die Offenheit für Frauen in der Musikwelt weiter vorangeschritten sind als in kleineren Städten.

Leider gibt es nur sehr wenige überlieferte Dokumente, die Hinweise auf das Leben Helene Liebmanns geben. Interessante Rückschlüsse auf ihr Umfeld lassen aber die Widmungsträger ihrer Kompositionen zu. Darunter befinden sich Franz Lauskas Gattin Caroline, der Bildhauer Rudolf Schadow, die Weimarer Mäzenin und Erzherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach Maria Paulowna, Prinzessin Marianne von Preußen, Prinzessin Marie Anna, Tochter des Landgrafen Friedrich V. von Hessen-Homburg, die „kranken Waisen im grossen Friedrichs-Waisenhause“, ihr Schwager Silvester Cohn, ihr Bruder Emil Riese und ihre Cousine Henriette Lindau, der Bankier und königliche Kommerzienrat Carl Emanuel Ezechiel, der Cellisten Max Bohrer, ihr Lehrer Ferdinand Ries und nicht zuletzt Musikdirektor Gürrlich.

⇑ top

Musikalische Ausbildung

Die jüdischen Akkulturationsbestrebungen in Berlin führen dazu, dass Martin Riese für seine Tochter die besten Musiklehrer engagiert. So erhält sie Unterricht bei Wilhelm Schneider, Franz Lauska und Joseph Augustin Gürrlich. Lauska ist gleichzeit auch Musiklehrer der königlichen Familie, Gürrlich ist seit 1811 Königlicher Musikdirektor und wird 1816 Königlicher Kapellmeister.

⇑ top

Pianistin

Bei ihrem ersten nachweisbaren öffentlichen Konzert am 23.2.1806 ist Helene Riese zehn Jahre alt. Sie spielt eine Doppelsonate von Mozart in Bearbeitung für Klavier zu vier Händen. Das „grossen Vocal- und Instrumental-Concert“ findet im Saal des Königlichen National-Theaters statt. Ab 1808 etabliert sich die junge Pianistin immer mehr und nimmt regelmäßig an den beiden großen stehenden Konzertreihen von Bliesener und Schneider teil.

Eine Sonderrolle nimmt Helene Riese besonders dadurch ein, dass sie in diesen Konzerten regelmäßig als Instrumentalistin in Erscheinung tritt. Andere Künstlerinnen, die zu dieser Zeit ähnlich häufig engagiert werden, sind vorwiegend Sängerinnen.

Am 5.2.1812 spielt Helene Riese in diesem Rahmen erstmals eine ihrer eigenen Kompositionen: im Konzertsaal des Königlichen Schauspielhauses.

⇑ top

Komponistin

Während viele weibliche Komponisten in den frühen Jahren des 19. Jahrhunderts vorwiegend Lieder veröffentlichten, stellt diese Gattung - zumindest unter den überlieferten Veröffentlichungen - bei Helene Riese eher eine Randerscheinung dar. Der Schwerpunkt ihres kompositorischen Schaffens liegt auf Sonaten für Klavier, Violine oder Cello und auf Kammermusik für Streicher.

Bei der Einschätzung des Gesamtumfangs an Publikationen ist es interessant, den Zeitraum zu berücksichtigen, während dessen Helene Liebmann überhaupt Werke zur Veröffentlichung gebracht hat. Überliefert sind insgesamt 20 gedruckte Werke, die innerhalb von sieben Jahren erschienen sind.

Zum Vergleich dazu: Von Clara Schumann sind 39 Werke in 26 Jahren erschienen. Von Fanny Hensel liegen zwar ca. 800 Kompositionen vor, veröffentlicht wurde davon aber zu ihren Lebzeiten nur eine geringe Anzahl. Unter den nicht veröffentlichten Werken befinden sich gerade auch größere - frauenuntypische - Gattungen wie Chorwerke, Ouvertüren oder Kantaten und Oratorien.

Das kompositorische Schaffen Fanny Hensels lässt natürlich keine konkreten Rückschlüsse auf das Werk Helene Liebmanns zu. Leider gibt es keinen Nachlass der Musikerin, der weitere Details preis gibt. Die letzten überlieferten Kompositionen Helene Liebmanns erscheinen spätestens 1817, unter dem Nachnamen Liebert sind keine Werke zu finden. Über das Hamburger Leben Helene Lieberts ist noch zu wenig bekannt - es könnte jedoch sein, dass sie in ihrem späteren Leben dem Gesang den Vorrang gibt und tatsächlich keine weiteren Werke veröffentlicht.

⇑ top

Sängerin

Nach ihrem knapp vierjährigen Aufenthalt in London ziehen Helene und John Joseph Liebmann 1818 nach Hamburg. Am 21.10.1819 konvertiert auch John Joseph Liebmann zum Christentum, woraufhin das Paar den christlich klingenden Nachnamen „Liebert“ annimmt. Anlass hierfür sind vermutlich die zunehmenden antisemitischen Unruhen: Im August ereignete sich der erste „Judentumult“ in Hamburg. Am 12.11.1819 erhält John Joseph Liebert die Hamburger Bürgerrechte.

Helene Liebert ist eine bekannte Sängerin im Hamburger Konzertleben. 1820 wirkt sie an einer von Luise Reichardt organisierten Aufführung von Händels Saul mit und singt die Rolle der Michal. Auch in Hamburg verkehrt das Ehepaar in gehobenen gesellschaftlichen Kreisen. So besucht Helene Liebert beispielsweise 1835 ein Konzert von Clara Schumann, die im Haus der wohlhabenden Kaufmannsfamilie Parish auftritt.

Der Städtebrand im Jahr 1842 zerstört auch die Behausung von Helene und John Joseph Liebert, die bislang im Hamburger Zentrum nahe der Binnen-Alster lebten. Die anschließende Wohnadresse liegt dann in Fontenay, das zu der Zeit noch nicht Teil der Stadt Hamburg ist. Im Frühjahr 1859 verlassen Helene und Johann Joseph Liebert dann die Stadt Hamburg und melden sich ab nach Sachsen, Österreich und Italien. Der Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses ist das letzte nachweisliche Lebenszeichen der Musikerin.

⇑ top